Kein anderes Bild hat die russische politische Ikonographie im 20. Jahrhundert so nachhaltig geprägt, wie das des Revolutionsführers und Gründers der UdSSR Vladimir Iljitsch Lenin. Generationen von Sowjetmenschen wuchsen im Schatten seiner omnipräsenten Bildnisse und Statuen auf, Lenin wurde zur zentralen Identifikationsfigur des neuen Staates.
Sein Eintreten in das Bildgedächtnis Rußlands verläuft in den frühen Revolutionsjahren weitgehend unspektakulär. Bis zur Revolution 1917 gibt es kaum Photographien oder Filmaufnahmen von Lenin. Erste Plakate aus den Jahren 1918 - 20 zeigen ihn daher in höchst unkonventioneller Weise. Der freie künstlerische Umgang mit der Figur Lenins war noch die Regel, wie auf dem Plakat von D. Moor aus dem Jahr 1919, auf dem ein jugendstilhafter Lenin mit der symbolischen Fackel der Revolution den Zug der Proletarier anführt. Auch auf den mehrbildrigen Plakaten des Zentralen Exekutivkomitees, die von M. Čeremnych entworfen wurden, erschien Lenin diskret und in karikierter Form. Allegorisch nahm er dem Bauern die Augenbinde ab und befreite ihn damit von den Fesseln der Unwissenheit und politischen Blindheit. Satirische Merkmale finden sich auch in der Darstellung bei V. Deni in dem Plakat „Genosse Lenin säubert die Erde vom Unrat" aus dem Jahr 1920. Lenin selbst sah diese karikaturhaften Darstellungen recht gelassen. Auch avantgardistische Entwürfe ließen das Leninthema nicht unberührt.
Erst ab 1922 veränderte sich seine Ikonographie nachhaltig. Nach einem Krankenhausaufenthalt hielt sich Lenin wieder im Kreml auf und wurde bei einem Spaziergang von den Regisseuren Kaufman und Levickij gefilmt. Diese Aufnahmen sowie andere Photographien aus dem Jahr 1922 wurden zur ikonographischen Grundlage, auf der das Leninbild u.a. im Plakat aufbauen sollte.
Zum 5. Jahrestag der Revolution wurde Lenin bereits in derjenigen Pose dargestellt, die dann kanonische Formen annehmen sollte: als dominanter Führer im dunklen Anzug, den linken Arm in wegweisender Geste erhoben ("der appellative Lenin"). So wurde er auch zum Hauptmotiv auf dem Plakat von A. Strachov-Braslavskij (1924), so sollte er sogar im konstruktivistischen Plakat motivische Verwendung finden.
Der revolutionäre Spielfilm der 1920er Jahre modifizierte die Lenin-Ikonographie nicht unerheblich: in den Plakaten zum Film „Oktober" von S. Ejzenštejn wird nicht nur die Haltung verändert, Lenin hebt jetzt den rechten Arm, seine in der Filmszene dargestellte Ankunft in Petrograd, die die Basis für das Filmplakat war, wurde zum triumphalen Auftritt eines Revolutionsführer von Weltbedeutung stilisiert, der den Anbruch einer neuen Ära in der Weltgeschichte verkündete und prophetisch den Weg wies.
Überdimensionalität war auch das Merkmal, das diesem Leninkonzept noch während der Industrialisierung Anfang der 1930er Jahre zugeschrieben wurde, wie auf den Plakaten von G. Klucis. Der Führerkult dieser Jahre manifestierte sich damit zunächst an der Figur Lenins. Doch deuteten sich bereits weitere Veränderungen an: der Nachfolger Lenins, Generalsekretär Iosif Stalin, ist bereit, die Leninsche Führerrolle zu übernehmen. Für Lenin muß daher ein neuer Platz in der politischen Ikonographie gefunden werden. Lenin gewinnt emblematischen Charakter, wird zum bronzenen Monument in historischer Starre. Fahnen und Banner, die er als Motiv schmücken soll, werden zu seinen Präsentationsräumen. Der konkreten Lebenswelt entzogen wurde die Figur Lenin mehr und mehr zur Insignie sowjetischer Herrschaft. Als Schattenriß stand Lenin jetzt hinter Stalin und verkörperte dessen historische Legitimation. Synchronie und Parallelität markierten die Lenin-Stalin-Bilder auch in den frühen 50er Jahren.
Mit der Eliminierung Stalins aus der Bildpraxis nach 1956 erfuhr die Ikonographie Lenins eine erneute Aufwertung. Nunmehr stand er allein als Repräsentant revolutionärer Kontinuität zur Verfügung. Zum 50. Jahrestag der Revolution (1967) erfuhr das Leninbild eine letzte monumentale Konzentration; Lenin wird zum außerzeitlichen, ewigen Attribut seiner Gesellschaft. Lenin als umfassender politischer Körper, in dem fundamentale Muster sowjetischen Selbstverständnisses akkumuliert sind, wie auf dem Plakat von V. Ivanov „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird leben". Die Lenin-Apotheose hatte ihren absoluten Höhepunkt erreicht. Gerade das geistige Erbe Lenins wird zum Ausgangspunkt für seine letzte Modifikation in der Sowjetzeit. Lenin wird schrittweise aus seiner exklusiven Rolle eines politischen Führers entlassen und als „Denker", "Philosph" oder als "Mensch" akzentuiert.
Die Figur Lenins von geschichtlicher Verfälschung freizuwischen und damit einen Orientierungspunkt zurückzugewinnen, an dem sich die Reformen Gorbačevs ideologisch ausrichten konnten, war die Intention vieler Plakatkünstler nach 1985. Diese Freilegung blieb jedoch auf halber Strecke stehen; erneut war es bissige Satire, die Lenin in seiner politischen Rolle nicht mehr ernstzunehmen bereit war, die ihn als Ziehvater Stalins entlarvte oder auf seine proklamierte geistige „Größe" mit satirischer Disproportion antwortete. Das Perestrojkaplakat löste auch die jahrzehntelange Praxis visueller Präsentationen auf: "Lenin" war nur ein Medienkonzept, das die eigentlichen Züge eines monströsen Ungeheuers verbergen sollte. Damit war auch ein Schlußpunkt in Lenins Ikonographie gesetzt, die über 70 Jahre lang unangefochtene Leitfigur der Sowjetunion wurde in ihre Bedeutungslosigkeit entlassen.
Sein Eintreten in das Bildgedächtnis Rußlands verläuft in den frühen Revolutionsjahren weitgehend unspektakulär. Bis zur Revolution 1917 gibt es kaum Photographien oder Filmaufnahmen von Lenin. Erste Plakate aus den Jahren 1918 - 20 zeigen ihn daher in höchst unkonventioneller Weise. Der freie künstlerische Umgang mit der Figur Lenins war noch die Regel, wie auf dem Plakat von D. Moor aus dem Jahr 1919, auf dem ein jugendstilhafter Lenin mit der symbolischen Fackel der Revolution den Zug der Proletarier anführt. Auch auf den mehrbildrigen Plakaten des Zentralen Exekutivkomitees, die von M. Čeremnych entworfen wurden, erschien Lenin diskret und in karikierter Form. Allegorisch nahm er dem Bauern die Augenbinde ab und befreite ihn damit von den Fesseln der Unwissenheit und politischen Blindheit. Satirische Merkmale finden sich auch in der Darstellung bei V. Deni in dem Plakat „Genosse Lenin säubert die Erde vom Unrat" aus dem Jahr 1920. Lenin selbst sah diese karikaturhaften Darstellungen recht gelassen. Auch avantgardistische Entwürfe ließen das Leninthema nicht unberührt.
Erst ab 1922 veränderte sich seine Ikonographie nachhaltig. Nach einem Krankenhausaufenthalt hielt sich Lenin wieder im Kreml auf und wurde bei einem Spaziergang von den Regisseuren Kaufman und Levickij gefilmt. Diese Aufnahmen sowie andere Photographien aus dem Jahr 1922 wurden zur ikonographischen Grundlage, auf der das Leninbild u.a. im Plakat aufbauen sollte.
Zum 5. Jahrestag der Revolution wurde Lenin bereits in derjenigen Pose dargestellt, die dann kanonische Formen annehmen sollte: als dominanter Führer im dunklen Anzug, den linken Arm in wegweisender Geste erhoben ("der appellative Lenin"). So wurde er auch zum Hauptmotiv auf dem Plakat von A. Strachov-Braslavskij (1924), so sollte er sogar im konstruktivistischen Plakat motivische Verwendung finden.
Der revolutionäre Spielfilm der 1920er Jahre modifizierte die Lenin-Ikonographie nicht unerheblich: in den Plakaten zum Film „Oktober" von S. Ejzenštejn wird nicht nur die Haltung verändert, Lenin hebt jetzt den rechten Arm, seine in der Filmszene dargestellte Ankunft in Petrograd, die die Basis für das Filmplakat war, wurde zum triumphalen Auftritt eines Revolutionsführer von Weltbedeutung stilisiert, der den Anbruch einer neuen Ära in der Weltgeschichte verkündete und prophetisch den Weg wies.
Überdimensionalität war auch das Merkmal, das diesem Leninkonzept noch während der Industrialisierung Anfang der 1930er Jahre zugeschrieben wurde, wie auf den Plakaten von G. Klucis. Der Führerkult dieser Jahre manifestierte sich damit zunächst an der Figur Lenins. Doch deuteten sich bereits weitere Veränderungen an: der Nachfolger Lenins, Generalsekretär Iosif Stalin, ist bereit, die Leninsche Führerrolle zu übernehmen. Für Lenin muß daher ein neuer Platz in der politischen Ikonographie gefunden werden. Lenin gewinnt emblematischen Charakter, wird zum bronzenen Monument in historischer Starre. Fahnen und Banner, die er als Motiv schmücken soll, werden zu seinen Präsentationsräumen. Der konkreten Lebenswelt entzogen wurde die Figur Lenin mehr und mehr zur Insignie sowjetischer Herrschaft. Als Schattenriß stand Lenin jetzt hinter Stalin und verkörperte dessen historische Legitimation. Synchronie und Parallelität markierten die Lenin-Stalin-Bilder auch in den frühen 50er Jahren.
Mit der Eliminierung Stalins aus der Bildpraxis nach 1956 erfuhr die Ikonographie Lenins eine erneute Aufwertung. Nunmehr stand er allein als Repräsentant revolutionärer Kontinuität zur Verfügung. Zum 50. Jahrestag der Revolution (1967) erfuhr das Leninbild eine letzte monumentale Konzentration; Lenin wird zum außerzeitlichen, ewigen Attribut seiner Gesellschaft. Lenin als umfassender politischer Körper, in dem fundamentale Muster sowjetischen Selbstverständnisses akkumuliert sind, wie auf dem Plakat von V. Ivanov „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird leben". Die Lenin-Apotheose hatte ihren absoluten Höhepunkt erreicht. Gerade das geistige Erbe Lenins wird zum Ausgangspunkt für seine letzte Modifikation in der Sowjetzeit. Lenin wird schrittweise aus seiner exklusiven Rolle eines politischen Führers entlassen und als „Denker", "Philosph" oder als "Mensch" akzentuiert.
Die Figur Lenins von geschichtlicher Verfälschung freizuwischen und damit einen Orientierungspunkt zurückzugewinnen, an dem sich die Reformen Gorbačevs ideologisch ausrichten konnten, war die Intention vieler Plakatkünstler nach 1985. Diese Freilegung blieb jedoch auf halber Strecke stehen; erneut war es bissige Satire, die Lenin in seiner politischen Rolle nicht mehr ernstzunehmen bereit war, die ihn als Ziehvater Stalins entlarvte oder auf seine proklamierte geistige „Größe" mit satirischer Disproportion antwortete. Das Perestrojkaplakat löste auch die jahrzehntelange Praxis visueller Präsentationen auf: "Lenin" war nur ein Medienkonzept, das die eigentlichen Züge eines monströsen Ungeheuers verbergen sollte. Damit war auch ein Schlußpunkt in Lenins Ikonographie gesetzt, die über 70 Jahre lang unangefochtene Leitfigur der Sowjetunion wurde in ihre Bedeutungslosigkeit entlassen.